Prinzessin Senkenpeng

Es war einmal ein Dorf, in dem herrschte eine große Dürre, und es hatte es schon viele Monate lang nicht mehr geregnet. Die verbrannte Erde brachte keine Früchte mehr hervor, und die Kühe auf den verdorrten Wiesen suchten vergeblich nach Gras. Sie waren nur noch Haut und Knochen, und die Hirten waren verzweifelt daß sie ihre Tiere so dünn und abgemagert sehen mussten.

Kein Wölkchen hing am leeren blauen Himmel, und die Sonne ging abends heiß und trocken unter. Wenn sie morgens wieder aufging, gab es keine Erfrischung, sondern nur heißen Wind.

Die Männer gingen nicht mehr mit erhobenen Häuptern, und die Frauen welkten vor Hunger und Durst dahin wie Blumen ohne Wasser.

Des Abends versuchten die Mütter ihre Säuglinge zu stillen, aber sie waren selbst so ausgedörrt, dass sie keine Milch mehr hatten. Die Kinder schrien vor Hunger und Durst.

Der Häuptling Rasenkepeng wußte nicht mehr, wie er seinem Volk helfen sollte.

Tag für Tag stieg der Regenmacher auf den Hügel hinter dem Dorf und stand den ganzen Tag mit seinem Stab in der Hitze und betete um Regen damit die Menschen gerettet werden, doch es fiel kein einziger Tropfen. Jeden Tag wartete Rasenkepeng am Fuße des Hügels und betete auch, doch der Himmel blieb blau und trocken.

Eines Tages war es soweit daß die Menschen bald fortziehen mussten, wenn sie nicht verdursten wollten.

Rasenkepeng saß alleine in seiner Hütte und dachte nach.

“Mein Volk stirbt vor Durst,” sagte er sich, “und der Wassergott Bulane hört unsere Gebete nicht. Ich werde meinen Sohn Maphapho ausschicken, er soll ein Land finden das an einem Flussufer liegt, damit wir fortziehen können.”

So rief er Maphapho zu sich und gebot ihm auszuziehen um ein Land mit Flüssen und Seen zu finden, in dem es genug Wasser für sein Volk gab.

Maphapho war ein großer schlanker Mann, den alle Frauen gerne mochten. Er wählte einige junge Männer aus dem Volk seines Vaters aus, die ihn begleiten sollten. Am nächsten Morgen rüsteten sie sich aus als wenn sie auf die Jagd gingen, und machten sich auf den Weg. Das Volk sah ihnen voller Hoffnung nach, als sie sich über die dürre Steppe auf den Weg zu den fernen Bergen machten.

Sie wanderten einen ganzen Tag, doch wohin sie auch kamen war das Land trocken, die Flüsse ausgetrocknet, und das Gras unter ihren Füßen war nur noch Stroh.

Am Ende des langen Tages machten sie Halt, und Maphapho entfernte sich ein Stück von seinen Kameraden. Als er sich umsah, entdeckte er einen Teich, auf dem sich die untergehende Sonne spiegelte. Er eilte zum Ufer und wollte etwas von dem Wasser trinken. Doch als er sich herabbeugte, da war der unsichtbare Wassergott Bulane schon am Teich und schlug ihm ins Gesicht, so daß er nichts trinken konnte. Dann versuchte Maphapho mit seinen Händen Wasser zu schöpfen um es zu trinken, doch Bulane schlug ihm abermals ins Gesicht und das Wasser wurde verschüttet.

Da wunderte sich Maphapho sehr und sprach:

“Herr des Wassers, warum darf ich meinen Durst an diesem Teich nicht stillen?”

Bulane’s Stimme antwortete:

“Sag deinem Vater Rasenkepeng, daß er mir seine Tochter Senkenpeng zur Frau geben soll, sonst wird all sein Vieh verenden und sein ganzes Volk verdursten.”

Maphapho liebte seine Schwester sehr, und er wußte daß sie der Augapfel seines Vaters war. Er wurde sehr traurig, doch er antwortete:

“I will dir gehorchen, doch du mußt wissen daß Senkenpeng meinem Vater mehr wert ist als all sein Vieh und sein ganzes Land.”

Dann bückte er sich und trank sich an der Quelle satt. Er füllte die Wasserschläuche die er mitgebracht hatte und kehrte zu seinen Gefährten zurück. Ohne eine Pause einzulegen kehrten die jungen Männer um, und sie wanderten die ganze Nacht bis sie wieder im Dorf ankamen, wo Rasenkepeng und seine Ratgeber schon auf sie warteten. Maphapho berichtete seinem Vater daß der Wassergott Bulane die Häuptlingstochter Senkenpeng zur Frau haben wollte. Rasenkepeng wurde das Herz schwer, den Senkenpeng war sein Ein und Alles und ihm lieber als sein Leben. Er wollte sich weigern, doch seine Ratgeber sprachen:

“Das Volk stirbt vor Hunger und Durst. Hole Senkenpeng zu uns, sie soll selbst entscheiden.”

Als Senkenpeng davon erfuhr dass Bulane sie zur Frau nehmen wollte sagte sie:

“Mein Volk soll nicht sterben. Ich werde zu Bulane gehen, damit mein Volk leben kann.”

Am nächsten Tag wehte ein heißer trockener Wind von den Bergen, und sie machte sich mit Maphapho auf den Weg. Die jungen Männer und Frauen des Dorfes begleiteten sie mit einem feierlichen Brautzug. Ihre Mutter weinte bitterlich, und ihr Vater segnete sie auf ihrem Weg:

“Ich wünsche dass du immer auf weichen Wegen gehen magst, und daß dein Gesicht immer so schön wie der Morgen bleibt.”

Doch Senkenpeng weinte nicht. Sie folgte Maphapho und seinen Gefährten tapfer bis zu der Quelle am Teich wo sie Bulane’s Stimme vernommen hatten. Dort nahmen sie Abschied voneinander und die Männer ließen Senkenpeng allein zurück.

Alsbald ging die Sonne in rotem Glühen unter, und Senkenpeng konnte am Horizont Wolken sehen. Die kühle Nacht brach herein, die Sterne schienen am Himmel und der Mond ging über den Bergen auf um über den Nachthimmel zu segeln.

Senkenpeng war sehr müde von der langen Wanderung und wollte sich gern ausruhen.

“Wo soll ich nur schlafen?” fragte sie.

“Hier, genau hier.” sagte eine Stimme.

Da breitete sie ihren Mantel aus und schlief am Ufer der Quelle.

Am nächsten Morgen wurde sie von einem sanften Regen geweckt. Senkenpeng war sehr glücklich, denn der Regen bedeutete daß das Volk ihres Vaters gerettet war. Der Himmel hing voller schwerer Regenwolken, und es regnete den ganzen Tag. Senkenpeng hatte keinen Schutz vor dem Regen, und am Abend fragte sie wieder:

“Es regnet und ich habe kein Dach. Wo soll ich nur schlafen?”

Und wieder sagte eine Stimme:

“Hier. Genau hier.”

So wickelte sie sich in ihren Mantel ein und legte sie wieder am Ufer der Quelle schlafen.

Am nächsten Morgen wachte sie in einer prächtigen Hütte auf, die viel größer und feiner war als die Hütte ihres Vaters. Auf dem Boden lagen weiche Felle und an den Wänden hingen Schilde und Speere. Neben ihrem Bett standen Speisen und Getränke, aber sie war ganz allein und es war keine Menschenseele weit und breit zu sehen.

Draußen regnete es immer noch, und Senkenpeng freute sich sehr, denn sie wußte dass sich die Seen im Land ihres Vaters nun wieder füllten, und die Flüsse wieder Wasser führten, und die Wiesen und Felder wieder wachsen konnten.

Die Tage vergingen, und die Erde wurde wieder grün und fruchtbar. Senkenpeng lebte allein in ihrer Hütte am Teich und war zufrieden. Im neunten Monat ihrer Einsamkeit brachte sie ein Kind zur Welt, aber ihren unsichtbaren Ehemann Bulane hatte sie immer noch nicht gesehen. Ihr Sohn war schöner und stärker als alle anderen Kinder, und Senkenpeng liebte ihn über alles. Endlich war ihre Einsamkeit vorbei. Die Hütte war jetzt voller Leben und Gelächter, und Senkenpeng spielte jeden Tag mit ihrem Sohn und sang ihm Lieder vor.

Eines Tages aber, als ihr Sohn schon zwei Jahre alt war, überkam sie Heimweh nach ihrer Familie. Sie wollte so gerne ihre Eltern wiedersehen, und ihnen ihren schönen Sohn zeigen.

“Darf ich heimkehren und meine Familie besuchen?” fragte sie ihren unsichtbaren Mann.

“Geh und besuche deine Familie.” sagte Bulane’s Stimme.

Am nächsten Tag machten sich Senkenpeng und ihr Sohn auf den Weg. Sie wanderten durch das Land bis sie in das Dorf ihres Vaters kamen, das jetzt wieder reich und grün war. Senkenpeng wurde mit großer Freude empfangen, und ihr Vater freute sich sehr als er seine Lieblingstochter endlich wiedersah. Er freute sich auch sehr über seinen schönen Enkelsohn, doch als er sie nach ihrem Ehemann fragte, schwieg Senkenpeng.

Als es Zeit wurde wieder zu Bulane und ihrer Hütte zurückzukehren, fragte Senkenpeng’s jüngere Schwester ob sie mitkommen sollte.

“Ach ja, dann bin ich nicht mehr so einsam.” sagte Senkenpeng.

So zogen die beiden Schwestern mit dem Kind in die Hütte an der Quelle. Doch mit der Schwester verschwand der Frieden aus der Hütte. Das Mädchen mochte Senkenpeng’s Sohn nicht, und schimpfte ihn ständig aus. Wenn er spielen wollte, schimpfte sie. Wenn er singen wollte, schimpfte sie. Eines Tages, als Senkenpeng aus dem Haus gegangen war um Wasser von der Quelle zu holen, schlug sie ihn sogar.

“Du hast gar keinen Vater,” hänselte sie ihn, “Niemand hat ihn je gesehen!”

Dann ließ sie ihn allein und vergnügte sich im Garten.

Doch Bulane hatte alles gehört. Er kam in die Hütte, nahm seinen Sohn auf die Knie und tröstete ihn. Als die Schwester wieder in die Hütte kam, sah sie Bulane gekleidet in einen silbernen Mantel aus Schuppen, wie er auf dem Boden mit seinem Sohn spielte. Er sprach:

“Ich bin der Vater des Jungen den du geschlagen hast.”

Sie erschrak fürchterlich, und lief aus der Hütte. In ihrer Angst lief sie den ganzen Weg zurück in ihr Dorf und kam nicht mehr wieder. Als Senkenpeng von der Quelle zurückkehrte, fand sie den silbernen Krieger in ihrer Hütte, der mit ihrem Sohn spielte. Sie erschrak sich sehr, aber sie lief nicht fort. Sie zitterte am ganzen Leib, doch sie blieb tapfer stehen. Der silberne Mann fragte sie:

“Wo ist dein Ehemann, Senkenpeng?”

“Ich weiß es nicht.” antwortete sie.

“Ich bin dein Ehemann.” sagte er, “Ich bin Bulane, der Herr des Wassers, der dich zur Frau erkoren hat. Dies ist mein Sohn, den deine Schwester gescholten hat weil noch niemand je seinen Vater gesehen hat. Von nun an sollt ihr mich sehen können, und ich werde euch nie mehr allein lassen.”

Senkenpeng freute sich sehr, dass sie endlich ihren Mann an ihrer Seite haben konnte, und Bulane hielt sein Wort und liess seine Familie nie mehr allein. Er brachte sein ganzes Volk an den Teich mit der Quelle, und sie bauten ein großes Dorf um Senkenpeng’s Hütte herum. Von da an war sie nie mehr einsam, und ihr Sohn hatte viele Spielkameraden.

Senkenpeng und Bulane lebten glücklich und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.


Quelle: Traditionelles Märchen aus Südafrika, übersetzt von Katja

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert