Brotjobs & Literatur – Iuditha Balint

Im Oktober 2020 veröffentlichte der deutsche Lyriker und Verleger Dinçer Güçyeter auf Facebook ein Foto von sich auf seinem Gabelstapler, mit dem er jeden Tag zusätzlich Geld verdient, um seinen Verlag am laufen zu halten. Danach entbrannte eine Diskussion darüber, ob und warum Autoren vom Schreiben eigentlich nicht leben können.

Im Jahr darauf erschien im Vebrecher Verlag diese Essay-Sammlung, in der Schriftsteller und Lyriker über ihre – teils zahlreichen – Neben- und Brotjobs schreiben. Was man daraus lernt ist: auch preisgekrönte und erfolgreiche Autoren müssen sehen, wo die Miete herkommt, und man verdient sie nicht mit Lesungen in örtlichen Buchhandlungen.

Neulich habe ich einen Artikel geschrieben, in dem ich mich damit befasst habe, was man als Schriftsteller eigentlich verdient.

Dazu hatte ich mehreren Autoren in meinem Umfeld ein paar Fragen gestellt, und später fiel mir auf: alle befragten Autoren haben neben dem Schreiben noch einen anderen Job, mit dem sie Geld verdienen.

Welcher Job dabei der Hauptjob ist, also das Schreiben oder der andere Job, habe ich nicht gefragt. Hauptsächlich, weil ich auch nicht danach gefragt habe, wie viel sie als Schriftsteller genau verdienen. Das lag einerseits daran, dass mir bewusst ist, dass man in Deutschland nicht gerne offen über Geldeinnahmen spricht, und andererseits, weil ich bereits bei der Eingangsfrage „Kann ich Dir mal ein paar Fragen zu Zahlen stellen?“ schon spüren konnte, dass einige nur zögerlich zustimmten.

Trotzdem war das Ergebnis: ich kenne keinen Schriftsteller persönlich, der außer dem hauptberuflichen Schreiben keinen anderen Job hat.

Gretchenfrage: Hauptberuf oder Nebenberuf?

Wenn ich Bücher schreibe, davon aber nicht leben kann, und deshalb kellnern gehe, bin ich dann ein schreibender Kellner, oder ein kellnernder Schriftsteller?

Sowohl als auch!

Schriftsteller ist, wer Bücher schreibt. Ob er sich selbst so nennt oder nicht, ist eine persönliche Entscheidung.

In meinem Bekanntenkreis war es meistens so, das sich die Autoren anfangs nicht als Schriftsteller gefühlt haben. Sie haben das schreiben nicht an die große Glocke gehängt, waren unsicher, ob ihre Werke gut oder schlecht sind, und auch wer schon das erste, zweite oder sogar dritte Buch „nebenbei“ veröffentlicht hatte, sah sich oft noch eher als „schreibender Das-und-das“.

Fast alle mussten sich erst an die Vorstellung gewöhnen, „echte“ Schriftsteller zu sein, und sich auch selbst als solche zu bezeichnen.

Doch die Wahrheit ist: die meisten Schriftsteller haben noch einen Brotjob. Wer jetzt glaubt, Schriftsteller seien nebenbei alle durchweg Literaturwissenschaftler oder Germanisten, liegt daneben.

Ich habe in einem Forum eine Umfrage gestartet, und habe Schriftsteller gefragt, womit sie sich – außer mit dem Schreiben – noch die Brötchen verdienen. Über fünfzig Schriftsteller haben geantwortet, und von Stewardess über Bäckermeister bis hin zum Jristen war alles dabei. Kein einziger war „nur“ Schriftsteller.

Was mir an diesem Buch allerdings etwas negativ auffiel: ALLE der teilnehmenden Autorn sind Verlagsautoren, und laut ihren Kurzbiografien am Ende des Buches haben alle bereits Literaturpreise oder Stipendien (oder beides) eingeheimst. Der schreibende Kellner, der als Self-Publisher „nebenbei“ Bücher schreibt, ist wieder mal nicht vertreten.

Also auch die Herausgeber und Teilnehmenden, die in dem ganzen Buch anprangern, dass der Literaturbetrieb voller Gatekeeper ist und ein sich selbst bestätigender Sumpf ist, sind Teil des elitären Sumpfes, den sie selbst anprangern.

Schade eigentlich.

ISBN: 978-3957324986
Verlag: Verbrecher Verlag
Erschienen: 28. Oktober 2021
Seiten: 200 Seiten
Preis: 19 Euro

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